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Rezension | Iain Reid: The Ending

The Ending - Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum: Psychothriller - Iain Reid, Eberhard Kreutzer, Anke Kreutzer
Meiner Kollegin fiel das Buch beim Einräumen im Laden auf und sie drückte es mir in die Hand mit den Worten: Schau mal, das klingt gut! Pause gehabt, Buch mitgenommen um ein bisschen darin zu schmökern. 30 Seiten später hatte ich es gekauft. 
 
Dies ist eines der Bücher, bei dem du am besten kein Wort über den Inhalt verlierst. Du musst es total blind lesen, am besten völlig unvoreingenommen, damit es seine Wirkung entfalten kann. Ähnlich wie wenn man „Psycho“ von Hitchcock zum ersten Mal sehen will oder „Die üblichen Verdächtigen.“ Je weniger man weiß, desto mehr Spaß machte es die Geschichte zu erleben. 
 
Die Atmosphäre ist der größte Pluspunkt. Kanada. Eisige Weiten. Eine lange, dunkle Nacht. Kaum Ablenkungen oder Nebenfiguren. Es zog mich richtig in seinen Bann und die Figuren, die Orte, der Stil, die Dialoge, die Brüche, all das spielt wunderbar zusammen. 
 
Der Stil hat etwas von einem Protokoll. Knapp, kurze Sätze. Prägnant. Das kann steril wirken, doch der Autor bringt die Gedanken und Handlungen seiner Figuren so auf den Punkt und schildert die Geschehnisse so in einer intensiven Präzision, dass dieser Stil dazu beiträgt mich als Leser mehr in die Geschichte hinein zu ziehen. Es müsste kalt und steril wirken; tut es aber nicht. Im Gegenteil, die kurzen Sätze entwickelten einen dermaßen starken Zug auf mich, dass ich nicht anders konnte, als weiter zu lesen. 
 
Ein anderer Punkt ist, dass die Dialoge der Figuren sich fast durchgehend mit philosophischen und psychologischen Fragen und Gedankenspielen beschäftigen. Das kann langatmig werden; oder aufgebauscht klingen. Wenn man sich durch ellenlange Schachtelsätze philosophischer Existenzfragen wühlen müsste, würde der Thrill im Thriller auf der Strecke bleiben. Aber die prägnanten Sätze halten sie Spannung und bringen die gestellten Fragen und Gedankenexperimente auf den Punkt. Philosophie, Psychologie sind Teil der Spannungskurve. Ich mag diese Art von Büchern, weil ich das Gefühl habe, sie lassen mich ein bisschen schlauer zurück. Oder sie helfen mir dabei mich ein wenig cleverer zu fühlen, weil sie mir interessante Dinge zum selbst darüber nachdenken präsentieren.
 
Die Figuren sind keine typischen Helden und keine typischen Symphatieträger, aber sie sind interessant. Das ist für mich das wichtigste Kriterium: Finde ich die Figur spannend und will ich ihr durch die Geschichte folgen? Die Antwort lautet hier klar: Ja. Ich kann nicht sagen, dass ich sie alle mag, aber ich finde sie spannend. In Büchern muss ich eine Figur nicht zwingend lieben; ich muss ihr folgen wollen! Sie sind seltsam, allesamt, haben Macken und Ecken und Kanten und wirken real. 
 
Handlung und Aufbau: 
 
Es gibt keine Exposition. Also keine Einleitung, keine Erklärungen zu Beginn oder irgend eine Vorstellung von irgendwas. Die Tür geht auf, und plötzlich sitzt du mit den Figuren im Auto auf einer Fahrt durch das verschneite Kanada und den Rest hast du selbst herauszufinden. Du musst den Figuren zuhören, um zu lernen, wer sie sind und wie sie ticken. Ich persönlich bin ein großer Fan von so etwas. Ich mag es, mich selbst in einer Geschichte zurecht finden zu müssen, als dass ich alles vorgekaut bekomme. 
 
Die Geschichte an sich spielt an einem einzigen Abend in der Vergangenheit, innerhalb von ein paar Stunden. Es gibt Einschübe aus dem Hintergrund der Figuren, sowie kleine kursiv gesetzte Absätze aus der Gegenwart. Ein großer Teil spielt auf engem Raum im Auto;  gibt es einen Teil bei einem verstörenden Familienessen, - wirklich, der Teil könnte fast als Horror-Element durchgehen, -Show-down ist in einer alten Schule. 
 
Die Balance der Orte ist gut gewählt; die statische und beengte Szenerie des Autos wird durch Rückblicke genug aufgebrochen, damit sie nicht ihren Reiz verliert. Die Wechsel der Geschehnisse und der Orte sind in einem guten Rhythmus gesetzt, dass es für mich nie zu Längen im Fluss der Geschichte kam. Sobald ich mich an eine Szenerie gewöhnt hatte, setzte der Autor mir neue Eindrücke vor die Nase, sodass die Dynamik der Geschichte an sich, sowohl der Figuren immer weiter ging und es, bis auf das Ende, nirgendwo stagnierte. Das Tempo bleibt mit einem angenehmen Zug bestehen, ohne an einer Stelle zu hetzen. 
 
Man wird es sich denken können: Es liegt alles am Ende. Hier muss ich sagen, ich wusste, was kommt. Oder ich habe es mir ab dem ersten Drittel  so gedacht; dann irgendwann hatte ich leise Zweifel, aber schließlich war ich mir sehr sicher, dass ich richtig liege. (Ich lag richtig. ;)) 
 
Aber trotz alle dem macht die Geschichte Spaß und der Autor hat es immerhin geschafft mich kurz zweifeln zu lassen. Allein dafür gibt es Kudos. ^^
 
Fazit:
 
Ich mochte das Buch aufgrund der sich langsam aufbauenden Spannung zu Beginn; dem Schreibstil, der Dialoge und vor allem wegen der großartigen Atmosphäre. Das Ende war ein Bonus, hat mich aber nicht vom Hocker gehauen. Das letzte Drittel des Buches las sich rückblickend eher zäh. Den Show-Down hätte man meiner Meinung nach um ein gutes Stück kürzen können. Alles in allem hat man hier eine reizvolle Geschichte.   Es ist eine menschliche Tragödie, verpackt in einen spannenden und nachdenklichen Thriller. 
Den reißerischen Untertitel: Du wirst dich fürchten. Und du wirst nicht wissen, warum, hätte man allerdings weglassen können. Diese Art von Marketing-Polemik braucht es nicht.